Welche Zukunft hat Weißenfels? 

Was ist das Hauptproblem der Schlachthoferweiterungspläne in Weißenfels und was die Hauptkritik daran?

Weniger Schlachthof und mehr kritische, kulturelle Rekonstruktion der historischen Stadt wäre der bessere Weg. Die "weiße Kathedrale des Todes" als größtes Symbol in Weißenfels wäre ein Signal in die falsche Richtung und steht nicht für sich allein. Sie ist Teil einer Logistik, in der weitere Zentren der industriellen Tierproduktion in den umliegenden Regionen begründbar und legitim werden. Sie zerstört und behindert aber gleichzeitig das, was am dringendsten gebraucht wird. Was gebraucht wird ist Kleinteiligkeit, Artenvielfalt und differenzierte mittelständische Wirtschaft wie zum Beispiel NEULAND oder die Erzeugergemeinschaften wie Schwäbisch Hall. Was aber befördert würde, wären monofunktionale Großkomplexe und ländliche Monokulturen. Das Bemerkenswerte daran ist, Vielfalt und Funktionsmischung sind sowohl das Kennzeichen reicher Kulturlandschaften als das der Vitalität lebenswerter Städte. Behutsame Stadterneuerung in kleinen Schritten und behutsame Landerneuerung in kleinen Schritten gehören zusammen.

Von Erinnerungen und Beschwörungen kann man nicht leben. Fast jede der vielen Kleinstädte zwischen Ostsee und Thüringer Wald muß sich seit der Vereinigung einen neuen Beruf, eine neue Erwerbsgrundlage erfinden, die den Bedingungen einer sich globalisierenden und entsprechend spezialisierenden Welt gewachsen ist. Die leer stehenden Fabriken zeigen, wie gefährlich einseitige Abhängigkeit ist, wie wichtig also Umsicht und langer Atem, um nicht aus einer Sackgasse in die nächste zugeraten.


Keine Entwicklung auf Kosten der Altstadt

 

Weißenfels zeigt bis heute die Züge einer barocken Residenz, es war aber auch über viele Jahrhunderte eine solide Handwerker-, vor allem eine Schuhmacherstadt. Dem entsprechen die beiden derzeitigen Problemzentren: den stockenden Wiederaufbau der Altstadt, und den maßstabsprengenden Ausbau des Schlachthofs in der Neustadt. Der Dualismus von barocker Residenzstadt östlich der Saale und gewerblicher Neustadt westlich des Flusses gehört seit dem 19.Jahrhundert zu Weißenfels. Problematisch wird es erst, wenn die Proportionen so verschoben werden, wie das der geplante Ausbau des Schlachthofbetriebs tun würde: Die Altstadt mit Markt und Schloß wäre – wirtschaftlich wie stadträumlich – ein Anhängsel der Schlachthofentwicklung.

 

Dabei geht es nicht nur um die räumlichen Wirkungen – der Schlachthof als Dominante des Stadtbildes und der Außenwirkung der Stadt, statt des barocken Residenzschlosses. Im Vordergrund stehen die funktionalen Belastungen, welche die überdimensionierte Erweiterung des Schlachtbetriebes bringen wird: erheblich höhere Belastung der Umgebung durch den Lieferverkehr, die Unverträglichkeit mit den Weinbaulagen der Nachbargemeinde Burgerben, und, vor allem, ein das regionale Reservoir überstrapazierender Wasserverbrauch. Dies alles hat massive Auswirkungen sowohl auf Wirkung und Wahrnehmung der Stadt nach außen wie auf Lebensqualität und Kultur der Stadt selbst.

 

Kein zweites Leuna

 

An diesem Punkt ist daran zu erinnern, daß Weißenfels bereits in der DDR-Zeit schwer durch die Auswirkungen von Leuna geschädigt wurde. Dies drückt sich nicht zuletzt in einem Bewohnerrückgang schon zu DDR-Zeiten aus, gegenläufig zu fast allen anderen DDR-Städten, der also nicht erst mit der Wende einsetzte, sondern den schlechten Lebensbedingungen unter der Dunstglocke des Chemiekombinats geschuldet war. Jetzt, nachdem die Schädigung durch die Chemie-Industrie überwunden ist, ist die Stadtverwaltung dabei, sich eine neue Hypothek einzuhandeln.

 

Welche anderen Optionen hätte Weißenfels?

 

Zum einen müßte u.a. die medizintechnische Komponente der städtischen Wirtschaft gestärkt werden. Für deren Entwicklung ist die einseitige Bevorzugung der Schlachthof-Perspektive eindeutig kontraproduktiv. Dafür wird vielmehr genau der Charakter einer landschaftlich reizvollen, von Geschichte und Saale-Romantik gesättigten Kleinstadt gebraucht, den der geplante Ausbau des Fleischwerks der Firma Tönnies bedroht. Hier wäre vielmehr eine auf wissensbasiertes Gewerbe zielende Entwicklungsrichtung nötig, wie sie andere vergleichbare Städte mit der Campus-Idee versuchen. Überhaupt besteht die langfristige Gefahr der einseitigen Abstützung auf einen einzigen Großinvestor darin, daß die endogenen Entwicklungspotentiale, ohne die keine Stadt auf einen grünen Zweig kommt, offenbar vernachlässigt werden – da liegt wohl das zentrale stadtpolitische Problem von Weißenfels.

 

Zu den endogenen Kräften können wir unbedingt die Potentiale der kulturellen, historischen Bedeutung von Weißenfels zählen. Kultur gehört in heutiger Zeit zu den Triebwerken einer wirtschaftlichen Stadtentwicklung. Verstärkte Einbeziehung des historischen Erbes, der Dichter, Musiker und Wissenschaftler könnte auf Dauer womöglich ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Weißenfels werden.

 

"Die blaue Blume im Schlachthof" ist für einige Bürger von Weißenfels eine makabre Perspektive für die Stadt, für einige andere eine ungehörige Metapher. Aber welche Alternativen hat Weißenfels? Mehr kulturelle Besinnung und Entwicklung als mehr Schlachthof - ist das hier die Frage?

 

Rückkehr in die Saale-Landschaft

 

Schaut man auf die regionale Einbettung der Stadt, so müsste es das Interesse von Weißenfels sein, sich von den schwerindustriellen Nachbarschaften gerade zu distanzieren: vom fortschreitenden Braunkohleabbau im Osten, welcher derzeit Röcken und Lützen bedroht, also unmittelbares Weißenfelser Vorland, ebenso wie vom nach wie vor raumgreifenden Chemiecluster zwischen Merseburg und Großkorbetha im Norden. Stattdessen bedroht die Schlachthofoption noch das bislang unzerstörte westliche Umfeld der Stadt. Die enorme Kapazitätserweiterung der Schlachtfabrik macht ja nur Sinn im Zusammenhang mit dem geplanten Aufbau entsprechender Großzuchtanlagen, wie sie u. a., bei Allstedt geplant sind, wo es angesichts der unvermeidlichen Belastungen seinerseits zu einer weitreichenden regionalen Landzerstörung käme.

 

Weißenfels muss, anders gesagt, darum kämpfen, den Anschluss an die Saale-Unstrut-Region nicht zu verlieren. Die Bezugspunkte wären dann vielmehr Naumburg, Gosek, das Unstruttal: Querfurt und Burg Allstedt - d.h. die Zugehörigkeit zu einem etablierten touristischen Zusammenhang, aus welchem Weißenfels bislang aufgrund seiner stadtbildlichen und regionalen Defizite der öffentlichen Wahrnehmbarkeit heraus fällt. Dieser Weg müsste allerdings, um erfolgreich zu sein, auch entschlossen begangen werden. Alles auf die Karte Schlachthof zu setzen, den derzeit größten Gewerbesteuerzahler der Stadt, ist dagegen kurzsichtig und langfristig vermutlich die schlechtere Option.

 

Verfasser: Dr. Hoffmann-Axthelm & Prof. Bernhard Strecker, 2008, Berlin.